Ich würde mir gerne ein neues Motorrad bauen. Aber was für eines? Momentan reizt mich keine der üblichen “Gattungen”. Ist es möglich, etwas ganz Neues zu bauen, das in keine Schublade passt?
Was für Möglichkeiten hat man, wenn man ein neues Umbauprojekt starten will?
Ein Café Racer? Aktuell ein sehr dankbares Thema, allerdings habe ich schon meinen Ratracer und noch einen brauche ich nicht. Ein Chopper? Liegt mir nicht und außerdem sind da selbst die abwegigsten Ideen schon 50 Mal umgesetzt worden. Ein Bobber? Die Merkmale eines Bobbers sind so einfach und gleichzeitig so streng, dass sie keinen kreativen Spielraum lassen. Ein Scrambler? Ebenfalls nicht wirklich spannend: altes Moped, längere Dämpfer, Stollenreifen – fertig. Ein Classic Racer? Zu teuer, wenn man es ernsthaft umsetzen will.
Um es kurz zu machen: Momentan reizt mich keines der üblichen Genres.
Nicht schön aber selten
Ich würde gerne etwas optisch Neues schaffen. Etwas, was es in dieser Form bzw. in dieser gestalterischen Konsequenz noch nicht gab.
Solche Versuche, das Motorraddesign neu zu erfinden, gab es immer wieder. Einige endeten als skurrile Fußnoten in der Geschichte des Motorrades. Aermacchi Chimera. Honda DN-01. Bimota Tesi 3D oder Mantra. Motorräder, deren Gestaltung sich langfristig nicht durchsetzen konnten, weil sie einfach zu extrem, zu “anders” waren.
Nur wenige radikale Motorräder (das “radikal” ist nur auf die Optik bezogen) wurden langfristig erfolgreich bzw. wegweisend. Mir fällt gerade nur die Suzuki Katana ein. Andere waren zwar ein wirtschaftlicher Erfolg, blieben aber Exoten und haben den Markt nicht langfristig geprägt (Velocette LE. Suzuki Hayabusa).
Mehr als die Summe seiner Teile?
Aber wie kann man etwas wirklich Neues erfinden? Eigentlich ist der menschliche Geist dazu gar nicht in der Lage. Er kann nur Altbekanntes variieren, vermischen, erweitern oder reduzieren.
Das sieht man z.B. gut bei den Figuren der griechischen Mythologie: Menschen mit Pferdekörpern, Stierköpfen, Schlangenleibern, Pferde mit Vogelflügeln, … Alles Elemente, die für sich genommen bekannt waren, nur in dieser Kombination noch nicht existierten. Das Ergebnis waren Mischwesen, Hybride, Chimären.
Diesen Ansatz gibt es auch bei Motorrädern: Momentan recht beliebt sind die sogenannten Reiseenduros, die angeblich Reisetauglichkeit mit Geländegängigkeit verbinden. Ob sie das wirklich tun, darüber kann man streiten. Das gleiche Prinzip gab es schon früher bei Scramblern und in umgekehrter Richtung bei Supermotos.
Das Prinzip lässt sich auch mit anderen Kombinationen durchspielen: Ein Supersportler mit dem Komfort eines Tourers. Ein strömungsoptimierter Chopper mit Vollverkleidung. Eine Geländemaschine mit Turbo und 200 PS. Ein Trialmotorrad mit Beiwagen. Das kann man alles machen, ist aber Blödsinn. Wenn man zwei grundverschiedene Motorradtypen mischt, verlieren sie das, was ihre Faszination oder ihren praktischen Nutzen ausmacht. Am Ende ist es ein fauler Kompromiss, der weder das eine noch das andere beherrscht.
Das wilde Vermischen von Eigenschaften und Teilen bringt mich also nicht weiter. Zumal ich eigentlich sowieso schon auf die Gattung “zügiges Straßenmotorrad” festgelegt bin. Ein anderer Ansatz muss her.
Stilepochen und Motorräder
Wie wäre es, wenn man das Design aller bisherigen Motorräder in Kategorien einteilt und dann versucht, eine Kategorie zu finden, die bisher nicht verwendet wurde? Wenn man zum Beispiel Analogien zu den Stilepochen der Kunst sucht?
Wenn man z.B. eine Suzuki Intruder M1800R oder eine Triumph Rocket III mit ihren ausladenden, runden Formen dem Barock zuordnet. Rubens auf einer Trude, das passt doch.
Eine Jawa Mustang oder Suzuki Katana könnte man aufgrund ihrer reduzierten und eckigen Formen dem Kubismus zuordnen – Picasso lässt grüßen. Eine Norton Manx mit ihren einerseits klaren, anderseits im Detail fließenden und verspielten Formen wäre Jugendstil. Der Expressionismus, der die Realität emotionalisiert, überzeichnet und teilweise karikiert findet sich z.B. in den zerklüfteten und aufgelösten Formen einer aktuellen Kawasaki Ninja H2. Viele italienische Motorräder wie z.B. die MV Agusta F4 oder die Monster-Baureihe von Ducati zeigen eine gewisse Nähe zur Kunst der Renaissance – mit perfekt ausgewogenen Proportionen und einer sauberen Linienführung, die sich bis in den Details wiederfindet. Für die Honda Africa Twin findet sich eine Parallele in der Romantik: Ein Motorrad, das durch seine Gestaltung Emotionen ausstrahlt und Sehnsucht weckt, aber gleichzeitig so schroff, abweisend und menschenfeindlich wirkt, dass einen beim Betrachten notgedrungen der Weltschmerz erfasst.
Pop-Art findet sich in nahezu allen Motocross-Maschinen wieder: Comichaft überzeichnet, kunterbunt, schrill und um Aufmerksamkeit heischend. Das haben sie mit japanischen Custombikes im Bosozoku-Stil gemeinsam, bei denen einzelne Elemente teilweise so grotest verfremdet und überzeichnet sind, dass man die Maschinen guten Gewissens dem Surrealismus zuordnen kann.
So, und nun stellt sich die Frage: Welche Stilrichtungen finden in der Motorradwelt bislang keine angemessene Entsprechung?
Ich finde: Funktionalismus, Neue Sachlichkeit, Bauhausstil, klassische Moderne. Also eine Reduktion auf das Minimum, möglichst einfache, geometrische Formen. Kein optischer oder funktionaler Ballast.
Form follows function
Das mag etwas überraschen. Schließlich sind die meisten Motorräder in erster Linie Funktionsgegenstände, bei denen sich die Form der Funktion unterordnet. Sitzposition und Bedienelemente unterliegen in erster Linie der menschlichen Physiognomie, erst nachrangig gestalterischen Aspekten. Und bis vor ein paar Jahren war meist der Motor das optisch prägendste Element des Motorrades – dessen Aussehen fast ausschließlich seiner Technik geschuldet war und von Ingenieuren und nicht Designern entwickelt wurde.
Eine Besonderheit von Motorrädern ist außerdem, dass sich die beiden Prämissen der neuen Sachlichkeit meist widersprechen: Einfache, reduzierte Formen einerseits, reine Funktionalität andererseits.
Beispiel Stoßdämpfer: Ein Stoßdämpfer besteht aus dem Dämpferelement und der Feder. Mehr braucht er nicht, um zu funktionieren – “form follows function” in seiner höchsten Form und obendrein ziemlich ästhetisch. Andererseits ist die Grundform durch die Feder unregelmäßig und zerklüftet. Eine Hülse über dem Dämpfer würde für eine einfache und klare Form sorgen, ist aber für die Funktion überflüssig und widerspricht damit der reinen Lehre.
Beispiel Motor: Motoren haben üblicherweise sehr komplexe und unregelmäßige Formen. Kühlrippen, Versteifungen, Rohre und Schläuche, Stutzen und Schrauben, Anlasser und Ölkühler, … Dem Ingenieur mag dabei das Herz aufgehen, Walter Gropius als Gründer des Bauhaus bekäme hingegen das kalte Grausen. Folgerichtig entschied sich der ästhetisch interessierte Ingenieur Richard Küchen, dass seine Motoren nicht nur gut funktionieren sondern auch gut aussehen sollen. Er verpasste ihnen hierfür möglichst glatte Oberflächen und einfache Grundformen. Der Motor der Victoria Bergmeister sah deshalb aus wie ein rundgelutschtes Bonbon. Das war schön – sorgte aber leider für haufenweise Schwierigkeiten: Thermische Probleme aufgrund schlechter Kühlung, Materialermüdung, Konstruktionsmängel. Die schöne Form machte die Motoren dysfunktional.
Der beste mir bekannte Kompromiss zwischen einfachen Formen und funktionierender Technik ist übrigens der Motor der MZ ETZ250. Im Grunde besteht er nur aus zwei Teilen: Dem annähernd quaderförmigen, abgerundeten Unterteil und dem nahezu quadratischen Zylinder. Kein Witz: Ich kenne keinen Motor, der so einfach und zugleich so elegant ist. Man merkt, dass der Weg von Zschopau nach Dessau bzw. Weimar nicht weit ist.
Das Bauhaus-Bike
Wie also könnte ein Bauhaus-Bike aussehen? Einerseits möglichst “clean” und geradlinig, eine extrem reduzierte Formensprache bestehend aus geometrischen Grundformen. Vielleicht ein bisschen wie die Ur-GSX-R, nur noch stärker reduziert. Zugleich müssten “komplexe” Bauteile verborgen oder verblendet werden. Die Stoßdämpfer bekämen Hülsen oder würden dank eines Zentralfederbeins gleich ganz aus dem Blickfeld verschwinden. Die Räder hätten vollflächige Felgen oder Blenden über den Speichen. Der Auspuff würde gut versteckt unter dem Motor liegen oder als Underseat-Lösung nach hinten geführt werden. Der Motor könnte evtl. komplett hinter einer Verkleidung verschwinden. Entweder hinter einer Vollverkleidung oder in einer Einheit von Tank und Rahmenverkleidung wie bei der Lotus C-01.
Bleibt die Frage: Was eignet sich als Basis? Vielleicht ein Zweiventiler von BMW? Oder gar ein “fliegender Ziegelstein“? Oder ein relativ günstiger Japaner mit schlank bauendem Motor? Ich werde in nächster Zeit ein bisschen über dieses Motorrad nachdenken und ein paar Entwürfe machen. Mal sehen, was dabei rauskommt.
Technik kann man als Liste von Bedingungen ansehen. Wenn die Liste einigermaßen vollständig ist, d.h mit der Wirklichkeit übereinstimmt, ist bei einwandfreier Umsetzung einwandfreie Funktion gegeben.
Wenn an das Aussehen Ansprüche gestellt werden, heißt das nichts weiter, als dass die Liste der Bedingungen etwas länger wird. Damit dauert die Umsetzung etwas länger und wird etwas teurer. Das ist der Unterschied.
Der Techniker muss die Bedeutung der Bedingungen kennen – und der Designer sollte sich über sein Anliegen im Klaren sen. Dann kann man alles umsetzen (wenn man gewillt ist, zu kommunizieren).
Z.B. Stoßdämpfer – es gibt bereits viele verschiedene Konstruktionen, optisch sehr verschieden. Bei der Gestaltung eines Verbrennungsmotors geht die Auslegung der Kühlung einher mit der Beachtung der Geräuschentwicklung der “Struktur” – der Bauteile. Die dauerfeste Auslegung ist eher eine Fleißaufgabe, die heute mit Hife von CAE-Werkzeugen lösbar ist.
Kurz: das Motorrad kann aussehen, wie auch immer das jemand wünscht. Ob Sternmotoren für Motorräder optimal sind, ist eine Frage, ob die Verkleidung des Motors ein gestalterisches Mittel ist, eine weitere. Megola vs. NTV.
Eine letzte Notiz: da die Entwicklung eines Fahrzeugs eher Jahre als Monate dauert, ist es nicht einfach, viele verschiedene Versuche zu machen bzw. Konzepte zu verfolgen. Es ist ein Zeit / Geldproblem.
Weiter viel Spaß beim Motorrad-Tüfteln
wünscht Ralf
Ich muss immer mal wieder an diesen Beitrag hier denken.
Bauhaus bei Motorrädern…
Ich denke, am die “bauhausischsten” Designs kommen aus der DDR. Wie schon erwähnt der ETZ-Motor. Aber wenn man sich mal Rahmen anschaut.
Der Hauptteil des Rahmens verbindet Lenkkopf und Schwinge und trägt dazwischen den Motor. Grade Linie geht nicht. Am simpelsten wäre ein Bogen über den Motor zwischen den Beiden Punkten. Wo findet man so einen minimaistischen Rahmen? z.B. TS 250 und S 50/51
Anders der ETZ-Rahmen: ein (vereinfacht) Vierkantrohr nach hinten und eins runter. Das schreit doch nach Bauhaus!
(Auch wenn ich diese Rahmen nicht wirklich gut finde. Ich bin ehr so der Technikmensch, Design überlass ich lieber anderen. Und wenn es Funktion geht gibt es bessere Formen als diese simplen.)
Anderes Beispiel: Simson SL1
Wenn man wieder mal nur den Rahmen anschaut. Das ist doch eindeutig Bauhaus?!
Das Bauhausprinzip findet man immer wieder. ES250/2 in Ansätzen. Im Vergleich zur Barrock-ES 250(/1) ist da viel reduziert.
LSW. Einfacher geht fast nicht.
Bauhaus ist meiner Meinung nach die “sozialistischste” Kunstrichtung. Deswegen taucht sie bestimmt in der DDR am meisten auf. Oder die einfachen Formen waren halt billiger. 😉
Danke für den Kommentar! Ich habe in letzter Zeit noch viel darüber nachgedacht.
In den meisten Punkten gebe ich Dir recht: Die DDR-Kräder entsprechen tatsächlich in vieler Hinsicht den Bauhausidealen.
Wobei es auch ganz andere Motorräder gab, die man als “Bauhausbike” bezeichnen könnte. Die “Friedenstaube” von Killinger & Freund mit ihren geschwungenen Verkleidung, die alles technische verdeckt, ist auf ihre Art auch sehr reduziert, auch wenn hier die Form nicht der Funktion folgt sondern weitestgehend Selbstzweck ist. BMW hat in den 80er Motorräder in extrem eckige und reduzierte Vollverkleidungen gesteckt. Das ist so extrem hässlich, dass ich es schon wieder faszinierend finde. Zum Beispiel das Konzeptbike “Futuro” mit Turbomotor. Oder die BMW K1 mit ihrer raumgreifenden Seitenverkleidung und dem riesigen Kotflügel, der das Vorderrad fast komplett umfasste. Beide haben ein auf einfache Formen reduziertes Design, das allerdings nur bedingt funktional ist. Ist das Bauhaus oder nicht?
Ein einfaches Objekt wie eine Lampe oder ein Stuhl lässt sich hervorragend auf seine Funktion reduzieren, auch optisch. Dafür wurde das Bauhaus bekannt. Ein hochkomplexes System wie ein Motorrad muss auf viel mehr Aspekte Rücksicht nehmen: Ergonomie, Aerodynamik, Fahrdynamik, Thermik, Wartungsfreundlichkeit, … Vielleicht schließen sich die Kategorien “reduzierte, einfache Form” und “funktionales Design” hier einfach aus? Vielleicht muss man sich beim Motorrad für eines davon entscheiden – auf Kosten des anderen?
Und noch was: Ob Bauhaus die “sozialistischste” Kunstrichtung ist. Das glaube ich nicht. Zumindest da, wo es wirklich um Kunst und nicht um (Produkt-)Design geht, haben alle sozialistischen Staaten einen Hang zu Pathos und Bombast. Der sogenannte “sozialistische Realismus” eben. Schau Dir mal die verbliebenen Denkmäler der DDR an. Mir sind vor allem der pornöse “Brunnen der Lebensfreude” und das Matrosendenkmal in Rostock in Erinnerung geblieben. Viel weiter kann man sich von der kühlen Nüchternheit des Bauhaus kaum entfernen. 😉
Eine vollständige Anpassung an das Bauhausdesign wird nur schwer möglich. Motorräder sind von ihrer Natur aus sehr zerklüftet.
Man kann jedoch versuchen, auf jede Form der Verzierung zu verzichten.
Ein Beispiel: CCM GP450
Das Motorrad ist ziemlich vereinfacht und vom Design stark auf den Zweck ausgerichtet. Wenn man aber hier mal den Rahmen anschaut: Er besteht aus vielen Einzelteilen (zerklüftet) und hat ehr organische Formen. Dafür ist er extrem leicht und trotzdem stabil.
Die Technik in grade Linien zu bekommen ist nur sehr schwer möglich.
Beispiel Nokia 515 (weil es gerade vor mir liegt)
Innen ist sind viele Einzelteile. Da gibt es kein Design. Außen ist Design. Sogar Bauhausstil. Die Verkleidung fasst alles zusammen zu einem ganzen und verdeckt alles. Somit kann es einfaches Aussehen haben, owohl es viel komplexer ist als eine Lampe oder ein Stuhl. Und die “Vollverkleidung” ist auch noch total praktisch.
Bei einem Motorad gibt es im inneren auch viele Einzelteile. Diese müssten entweder perfekt zusammenspielen oder man “versteckt” alles.
Ich bin aber kein Fan von verkleideten Motorrädern. Maximal Windschutz von vorne. Ich mag das Technische. Keine Vollverkleidung kann in meinen Augen so schön sein wie ein Motor. Und dann hängt da ein Vergaser dran. Der zerstört alle Linien. Wie krieg ich das optisch wieder hin? Vergaserabdeckung à la ES 250? Und schonwieder ein Teil, welches ich wegrationalisieren würde. Ein Teufelskreis…
Ich denke, es ist möglich etwas technisch vollkommen brauchbares und trotzdem schönes zu bauen. Aber bisher gibt es nur Annäherungen. Z.B. der Motor EM 250. Die verschiedenen Bauteile des Motors ergeben zusammen etwas schönes und gutes. (“gut” nach dem Stand der Technik von vor vielen Jahren)
Und zum “sozialistischen”: Ich bezog mich auf Produktdesign und Architektur. Vieleicht passt das Wort sozialverträglich.
Aber ja, insbesondere bei Denkmälern gab es immer wieder Entgleisungen. Es gibt da so ein Denkmal in Shumen… sieht nicht schlecht aus, aber vollkommen übertrieben.