Der ADAC fordert Warnwesten(mitnahme)pflicht für Motorräder. Manche springen auf diesen Zug auf und fordern sogar, dass Motorradfahrer während der Fahrt permanent Warnwesten tragen sollen. Grund genug für ein paar differenzierte Worte zum Thema Sicherheit und einen Apell gegen den allgegenwärtigen Sicherheitswahn.
Motorradfahren ist gefährlich, keine Frage. Immer wieder gibt es Situationen, in denen man sich bewusst oder unbewusst in Gefahr begibt, weil man sich oder das Motorrad überschätzt. Noch häufiger kommt es vor, dass andere Verkehrsteilnehmer einen in Gefahr bringen – weil sie einen übersehen, die Geschwindigkeit unterschätzen oder schlicht rücksichtslos sind. Das gleiche Risiko gibt es natürlich auch bei Auto- und Radfahrern und ebenso bei Fußgängern. Der Unterschied ist, dass die Folgen eines Unfalls für Motorradfahrer deutlich gravierender sind.
Sicherheit um jeden Preis?
Zu Beginn meiner Motorradfahrerkarriere war ich deshalb der Meinung, dass Sicherheit das Nonplusultra ist; da macht man keine Kompromisse. Aber wo fängt man an, wo hört man auf? Klar, jede Fahrt nur in voller Montur, also Stiefel, Lederhose, Lederjacke, Integralhelm, Handschuhe. Aber welche Schutzausrüstung ist die richtige? Ein Shoei- oder Schuberth-Helm ist natürlich besser als einer von Airoh, aber kostet auch das Dreifache. Als Student fiel die Wahl deshalb auf den Airoh. Und der Optik wegen natürlich in mattschwarz und nicht in Signalrot. Dazu eine dicke Lederjacke mit Protektoren. Klar, eine maßgeschneiderte Lederkombi wäre noch sicherer, aber die kann ja keiner bezahlen. Sicherheitshalber noch eine Warnweste drüber? Nee, das überlasse ich den Tourenfahrern jenseits der 50. Dicke Handschuhe sind natürlich Pflicht. Nur schwitzt man in denen im Sommer so, dass man jedesmal das Innenfutter mit rauszieht und nicht mehr reinkommt. Also doch lieber die dünnen Sommerhandschuhe?
Und was ist eigentlich mit dem Motorrad? Ein ABS ist natürlich eine tolle Sache, gibt es aber nur bei aktuelleren Maschinen. Und die kann und will ich mir nicht leisten. Von Goldwings mit Airbag will ich gar nicht reden. Und soll ich die abgefahrenen Reifen wirklich schon wechseln? Die sind doch noch für 1000 km gut und ich fahre meist nur bei Sonnenschein, da kann ich die auch noch eine Saison drauflassen.
Man sieht, mit der Kompromisslosigkeit ist das immer so eine Sache. Selbst die größten Sicherheitsfanatiker machen Kompromisse.
Zwei Ereignisse haben mich dann zum Nachdenken gebracht:
1. Mein Unfall mit der Bandit
Auf feuchter Straße rutschte mir bei Tempo 30 in der Kurve das Hinterrad weg (Ölfleck?), die Maschine stürzte, schlitterte ein Stück, prallte gegen den Bordstein, überschlug sich – Totalschaden. Ich hatte zu dem Zeitpunkt nur eine ganz dünne Jeans an, eher eine Leinenhose. So eine, von der Sicherheitsfanatiker sagen, dass die beim ersten Straßenkontakt reißt, einfach wegscheuert, sich in die Haut brennt. Pustekuchen! Ich bin ca. 20 m mit der Hüfte über den Asphalt gerutscht. An der Hose war nichts zu sehen, nur eine Zierniete war leicht verbogen! Während mein Motorrad Schrott war, bin ich mit einem blauen Fleck und dem Schrecken davon gekommen.
Also alles halb so wild? Ist Motorradfahren doch nicht gefährlich? Natürlich. Aber es kommt immer drauf an. Wenn man Glück hat, reicht wahrscheinlich auch eine Badehose und man kommt ohne Blessuren davon. Und wenn man Pech hat? Wenn einem ein 40-Tonner in der Kurven auf der eigenen Spur entgegenkommt? Dann helfen auch Schwabenleder, Schuberthhelm und Dainese-Airbagweste nicht. Dann kann man nur froh sein, wenn es schnell vorbei ist.
2. Hitzschlag auf Korsika
Bei meiner Korsika-Sardinientour war ich zu Beginn immer in voller Montur unterwegs. Komplett in schwarzem Leder, selbst in der brütenden Mittagshitze mitten im August. Die einheimischen Motorradfahrer, die meist in T-Shirt, kurzer Hose und mit Badeschlappen unterwegs waren, habe ich milde angelächelt und mir nur gedacht “Na in Eurer Haut möchte ich nicht stecken, wenn Euch einer die Vorfahrt nimmt”. Bis ich dann während der Fahrt einen Hitzschlag erlitten habe. Ausgerechnet an dem Tag, an dem wir dringend unsere Fähre bekommen mussten. Längere Pausen waren deshalb nicht drin. Der Rest des Tages sah also so aus, dass ich immer ein paar Kilometer gefahren bin, bis mir schwarz vor Augen wurde. Dann irgendwie bis zum nächsten Parkplatz, die Seele aus dem Leib gekotzt, kurz in den Schatten gelegt, bis das Schlimmste vorbei war, und dann schnell weiter. Und das auf vielbefahrenen und recht anspruchsvollen Straßen. Eigentlich total verantwortungslos!
In diese Situation wäre ich nie gekommen, wenn ich auf meine völlig unangebrachte Lederkluft verzichtet hätte. Sicherheitskleidung kann also nicht nur einen Verzicht auf Fahrspaß bedeuten, sie kann sogar selbst zur Gefahr werden.
Mein ganz persönliches Fazit
Und nun? Ich sehe die Sache mittlerweile sehr differenziert. Sicherheit ist für mich kein absoluter Wert mehr, dem man alles andere unterordnet. Das würde auch gar nicht gehen. Wer wirklich sicher sein will, darf nicht Motorrad fahren.
Stattdessen entscheide ich bewusst nach Situation, welche Kleidung den besten Kompromiss zwischen Sicherheit und Fahrspaß darstellt. In der Stadt mit dem Gespann ist das dann meist eine Jeans, Lederjacke, Halbschalenhelm, mal mit und mal ohne Handschuhe. Im Sommer auch gerne mit kurzer Hose und T-Shirt. Wenn ich eine Tour mit dem Racer mache, sind Integralhelm, Lederjacke, scheuerfeste Kevlarjeans und Handschuhe Standard. Und mit der Bandit auf der Autobahn wähle ich dann das volle Paket.
Der Vorteil dabei ist, dass der Spaß nicht auf der Strecke bleibt. Für mich ist es einfach ein riesiger Unterschied, ob ich den Fahrtwind direkt spüre oder dick eingepackt bin. Dafür nehme ich auch ein größeres Risiko in Kauf. Und ich bin mir dabei immer bewusst, dass es absolute Sicherheit nie geben wird. Deshalb verlasse ich mich nicht auf teure Kleidung, sondern versuche, durch einen vorausschauenden und verantwortungsvollen Fahrstil die Risiken kleinzuhalten. Für mich funktioniert das bisher ganz gut.
Um zum eigentlichen Thema zurückzukommen: Im Gespann habe ich das Komplettpaket aus Warnweste, Warndreieck, Rettungsdecke und Verbandskasten immer dabei, obwohl es nicht vorgeschrieben ist. In der Bandit immerhin Warnweste und kleines Verbandszeug. Am Racer aus Platzgründen gar nichts. Eine Warnweste würde ich beim normalen Fahren freiwillig nicht tragen. Bei sehr schlechtem Wetter oder bei einer Panne schon. Es kommt halt immer drauf an.
Ich finde es wichtig, dass jeder selbst entscheiden kann, wieviel Sicherheit er wünscht. Und da sollte ihm weder ein Sicherheitsfanatiker noch die Politik reinquatschen.