Hier gibt’s noch ein paar allgemeine Kommentare zum Glemseck 101 in seiner 10. Ausgabe, mit ganz vielen Fotos und Gedanken zum momentanen Stand in der Custom Szene.
Erst einmal muss ich die Veranstalter wirklich sehr loben. Wenn sich kleine Szene-Treffen zu Massenveranstaltungen entwickeln, bleibt dabei meist der ursprüngliche Gedanken auf der Strecke. Mit dem Ergebnis, dass zwar die großen Firmen und Sponsoren kommen, die Fans der frühen Stunde aber irgendwann wegbleiben.
Beim Glemseck 101 kann ich das – zum Glück – nicht feststellen. Die großen Sponsoren und Marken halten sich relativ dezent im Hintergrund und verstecken ihre Motorräder nicht hinter Absperrungen und Hostessen. BMW hat es sich zwar nicht nehmen lassen, einen Palast mit mehreren Stockwerken vorzufahren, gibt sich ansonsten aber ganz volksnah.
Und auch die vielen internationalen Customizer sitzen nicht in elitären VIP-Lounges zusammen, sondern sind mittendrin und für jeden ansprechbar.
Das Orgateam war immer freundlich und hilfsbereit, auch wenn es stressig zuging. Und zwar nicht nur zu den VIPs, sondern auch zu “normalen” Teilnehmern wie mir. Gleiches gilt für Security, Standpersonal etc. Sehr freundschaftlich und geradezu familiär – keine Selbstverständlichkeit bei einer Veranstaltung dieser Größe.
Ein nettes Detail, das das verdeutlicht: Am Eingang zum Zeltplatz stand eine große Kiste mit kostenlosen Brettchen bereit, die man auf der matschigen Wiese unter den Seitenständer legen kann. Ein echt netter Service.
Der einzige Kritikpunkt, der mir einfällt, ist das mit dem Müll. Es gibt zwar Mülltonnen, aber viel zu wenige. Und die stehen dann noch in Gruppen von 5 oder 6 Stück an Stellen, an denen niemand mit ihnen rechnet. Auf und hinter der Tribüne stand keine einzige! Das führt dazu, dass man seinen Müll ständig mit sich rumträgt und irgendwann entnervt auf einem ohnehin zugemüllten Tisch oder einem Haufen am Wegesrand ablegt. Immerhin waren morgens sehr viele Müllsammler unterwegs und haben für Ordnung gesorgt. Aber das hätte man sich sparen können, indem man einfach Tonnen aufstellt. Schwamm drüber, das ist Jammern auf hohem Niveau.
Aktuelle Umbautrends
Ich wage mal zu behaupten, dass etwa 90% aller Motorräder, die auf dem Glemseck rumstehen, echte Schönheiten sind. Jedes für sich ein Traummoped! Naja, sagen wir 80%.
Das Blöde ist nur, dass bei dieser Masse das einzelne Motorrad völlig untergeht. Es sind einfach zu viele. Ein “klassischer” Café Racer mit leerem Rahmendreieck und Höckersitzbank mag zwar hinreißend aussehen und bis ins Detail authentisch sein, ist heute aber nichts Außergewöhnliches mehr.
Der Trend, vor allem bei den vielen kommerziellen Customizern, geht deshalb weg von “klassischen” Maschinen. Ich fasse mal ein paar Trends zusammen, die mir aufgefallen sind:
Auspuffanlagen
Man sieht viele Maschinen mit ungewöhnlichen Auspuffanlagen. Winzig kleine Endtöpfe, verschlungene Rohre, schillernde Titan-Krümmer, filigrane Underseatlösungen – gerne auch mit Auslass im Höcker, oder ganz kompakte Anlage unter dem Motor.
Lack und Leder
Um Aufmerksamkeit zu erregen und sich optisch abzuheben, wird auch immer mehr Wert auf originelle Lackierungen gelegt. Vorbei sind die Zeiten, als jeder von einem polierten Alutank geträumt hat oder abgeschliffenes Metall mit einem Hauch von Klarlack überzogen wurde. Heute setzt man (wieder) mehr auf grelle Farben, kontrastreiche Muster, Aufkleber, Pinstripes oder Rost und künstliche Patina. Wenn schon die Technik austauschbar wird, soll wenigstens das Erscheinungsbild einzigartig sein.
Gleiches gilt übrigens auch für Sitzbezüge. Nur ein Brett oder ein hauchdünnes, ungedämpftes Leder? Das ist zwar unfahrbar, macht aber was her. Oder als bekennender Schönwetterfahrer ein Bezug aus Wildleder, bei dem die Sitzbank nach dem ersten Regenguss aussieht wie ein totes Tier und nach kurzer Zeit auch so riecht? Warum nicht. Erlaubt ist, was gefällt.
Unfahrbares
Dieser Trend zur ausgefallenen Optik, und sei es auch auf Kosten der Funktionalität, lässt sich in vielen Bereichen erkennen. Ein offenes Ritzelgehäuse, das einem alles vollsaut? Hauptsache anders. Ein Tank mit weniger Volumen als der Scheinwerfer? Damit kommt man keine 100 km weit, aber okay. Winzige Rückspiegel so nah am Tank, dass man sich nur selbst in den Schritt schauen kann? Nicht sinnvoll aber selten.
Bei “privaten” Maschinen habe ich damit übrigens kein Problem. Warum macht man sowas? Weil man es kann. Und was andere denken, ist deren Sache. Auch an meinem Motorrad ist nich alles auf Alltagstauglichkeit ausgelegt. Problematisch finde ich es nur, wenn große Customizer oder Firmen in diese Richtung gehen.
Eine 110 PS starke BMW R NineT mit einer 40 Jahre alten Trommelbremse im Vorderrad? Das Ding hat ein zulässiges Gesamtgewicht von über 400 kg! Ich möchte mal wissen, was passiert, wenn man mit dem Moped vollbeladen über 200 fährt und eine Vollbremsung machen muss. Das ist reine Show und fern jeder Realität.
Natürlich finden sich noch extremere Beispiele, aber das sind dann meist reine Machbarkeitsstudien, die gar nicht den Anspruch von Alltagstauglichkeit besitzen.
Bosozoku und andere Japanische Einflüsse
Nachdem sich die Szene jahrelang vor allem an englischem und italienischem Design orientiert hat, geht der Blick in letzter Zeit auch vermehrt nach Japan. Mir war das früher meist zu klobig, formlos und ließ eine klare Linie vermissen. Mittlerweile muss ich sagen, dass es mir als Alternative zu den bekannten Formen ganz gut gefällt.
Gewicht und Reifen
Bei den Motorrädern, die für den Sprint optimiert sind, steht nach wie vor Leichtbau ganz oben auf der Liste, bei ganz konsequenten Maschinen auch die passende Reifenwahl. Zur Not wird selbst Hand angelegt.
Fazit
Seit die “New Wave of Customizing” im Mainstream angekommen ist und immer mehr kommerzielle Anbieter um die Aufmerksamkeit des Publikums wetteifern, wird auf immer schrillere Umbauten gesetzt. Bisweilen bleibt dabei der eigentliche Zweck eines Motorrads auf der Strecke. Eine Entwicklung, die man von den Choppern kennt. Hier hat sich schon vor langer Zeit eine in sich geschlossene Customszene entwickelt, die sich komplett von der Realität entkoppelt hat. Es bleibt abzuwarten, ob es bei den Café Racern auch so weit kommt.
Sonstiges
Hier noch ein paar weitere Details, die mir ins Auge gestochen sind, die aber in keine Kategorie passen:
Aus dem Fahrerlager
Zum Abschluss noch ein paar allgemeine Eindrücke von der Rennstrecke und aus dem Fahrerlager.
Das war’s. 🙂